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Predigt am 5. So. n. Trinitatis, dem 04.07.2021, zur Unterzeichnung der CHARTA

Kanzelgruß 2 Kor 13,13

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes

und die Gemeinschaft der Heiligen Geistkraft sei mit euch allen!

Liebe Gemeinde,

wenn der Tod ins Leben einzieht, sind wir mit unserer Weisheit schnell am Ende. Und so unbegreiflich wie der Tod ist das Leben selbst, auch und gerade in seiner letzten Phase. Im Angesicht des eigenen Todes oder dem eines geliebten Menschen kommen wir an die Grenzen unseres Verstandes, unseres Wissens und unserer Möglichkeiten. Eine Welt droht zusammenzubrechen.

Unzählige Fragen stehen plötzlich im Raum:

· Was kann ich tun? Was will ich noch tun?

· Mit wem kann ich reden? Wer kann helfen?

· Wo ist der Ort für Wut, Angst, Klage und Trauer?

 

Hilft es, Gott anzuklagen,

· für das Kreuz, das wir zu tragen haben?

· für die Ratlosigkeit darüber, dass genommen werden soll, was einst geschenkt wurde?

 

Nur selten finden wir eine Antwort auf das Warum.

Darum fühlt es sich vielleicht auch manchmal an,

als würde Gott, wie im Buch Jesaja 29,14, sagen:

»Ich will zunichtemachen die Weisheit der Weisen,

und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.«

 

Dieser Vers aus dem Alten Testament wird im heutigen Predigttext, einem Brief des Paulus an die Gemeinde in Korinth, Kapitel 1, die Verse 18 bis 25, zitiert.

In der Lutherübersetzung trägt dieser Abschnitt die Überschrift:

Die Weisheit der Welt ist Torheit vor Gott

Paulus spricht in diesem Text über das uns unbegreifliche „Wort vom Kreuz“. Gott ist in den Schwachen mächtig. Er erfüllt mit seiner Kraft den Ort, den wir mit unseren Tränen benetzen, aber mit unserem Verstand nicht erfassen können.

 

Ich lese den Predigttext:

Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft.

Denn es steht geschrieben

Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht?

Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben.

Denn die/manche Juden fordern Zeichen und die/manche Griechen fragen nach Weisheit, wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit; denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit.

Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.

Paulus scheut die Konfrontation nicht. Er polarisiert und stellt dann sogleich fest, dass alle Menschen, Sklaven und Freie, Frauen und Männer, Juden und Griechen, berufen sind, die Kraft und Weisheit Gottes im Kreuz Christi, also auch in den Abgründen des Lebens, zu erfahren. Gott ist gerade dort bei den Menschen, wo menschliche Weisheit zu Ende ist und gesellschaftlicher Stand nicht mehr zählt.

 

Der christliche Glaube, das Vertrauen, von Gott getragen zu sein, und das „Wort vom Kreuz“ stehen nicht mehr im Zentrum unseres modernen Denkens. Aber die Grenzbereiche, die Abgründe des Lebens und Sterbens sind immer noch da, trotz vehementer Versuche, sie aus der Mitte der Gesellschaft – gedanklich und räumlich - in Randzonen zu verbannen.

 

In der Folge haben wir heute in unseren Familien kaum noch Erfahrung mit Sterbenskranken und Sterbenden. Und darum ist es ein Segen, dass sich Menschen berufen fühlen, die die Auseinandersetzung mit Leid, Krankheit und Tod nicht scheuen und den Betroffenen ohne Vorbehalt von Religion, Herkunft, Alter und Geschlecht helfend zur Seite stehen.

 

Mit dem heutigen Gottesdienst und der Unterzeichnung der CHARTA zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen wollen wir als Kirchengemeinde dazu beitragen, dass die Versorgung verbessert, vorhandene Unterstützungsangebote, wie Hospizarbeit und Palliativversorgung, bekannter und existenzielle Fragen von Leben und Sterben ins öffentliche Bewusstsein zurückgeholt werden.

Wir wollen „das Wort vom Kreuz“ wieder stark machen!

Im Vergleich zu früheren Generationen ist Sterben und Tod in unserer Gesellschaft viel seltener geworden. Die Lebenserwartung der Menschen ist deutlich gestiegen. Weniger Kinder werden geboren und die Kindersterblichkeit ist zurückgegangen. Sterben und Tod sind darum für viele Menschen keine Ereignisse des alltäglichen Lebens mehr. Umso dramatischer empfinden Sterbende und Angehörige es, wenn sie mit der Endlichkeit des Lebens konfrontiert werden. Oftmals sind sie verunsichert und haben Angst, weil ihnen ein verlässliches familiäres Sozialsystem fehlt, das Erfahrungen mit dem Sterben hat und sie in dieser schwierigen Zeit trägt. Verunsicherung und Ängste im Umgang mit Sterbenden tragen dazu bei, Kontakte mit ihnen eher zu meiden als sie zu suchen.1

 

Auch unsere moderne Lebensweise, Individualität und berufliche Flexibilität tragen dazu bei, dass Familien nicht mehr generationsübergreifend zusammenleben. Beziehungen zu anderen Menschen sind eher punktuell, situationsabhängig und themenspezifisch und sie werden nach einer gewissen Zeit auch wieder beendet. Kontakte langfristig aufrecht zu erhalten, bedeutet ein hohes Maß an kontinuierlichem Engagement. Dem stehen oft beruflich bedingter Zeitmangel, gesundheitliche und andere Herausforderungen gegenüber. Und je älter Menschen werden, desto schwerer fällt es ihnen, ihre Kontakte zu pflegen. Die andere Seite persönlicher Freiheit ist somit die Gefahr der Isolation und Vereinsamung.2

 

Mit der Corona-Pandemie, den schrecklichen Bildern unzähliger Toter in Bergamo, den vielen Gräbern in Brasilien und jetzt aktuell in Indonesien, ist die Verwundbarkeit und Zerbrechlichkeit des Lebens in unser gesamtgesellschaftliches Bewusstsein zurück-gekehrt. Plötzlich stand die Vulnerabilität von Menschen, ihre individuelle Anfälligkeit zu erkranken und möglicherweise zu sterben im Mittelpunkt der Diskussion. Ganz nah sind im vergangenen Jahr existenzielle Fragen an jede und jeden von uns herangerückt: Wie verletzlich bin ich selbst und wer ist eigentlich noch schutzbedürftiger als ich?

 

Es war ein Schock für uns zu erleben und zu begreifen, Menschen sterben früher, nicht an einer Corona Infektion, sondern aufgrund pandemisch bedingter sozialer Isolation auf Demenzstationen, im Krankenhaus oder auch einsam und allein zu Hause.

 

Welchen Beitrag kann Kirche, können Menschen, die ehren-, haupt- oder nebenamtlich in der Kirchengemeinde tätig sind, leisten, um denen nahe zu sein, die sich nach spiritueller Betreuung und persönlicher Lebensbegleitung sehnen?

 

Ich glaube, das Wichtigste ist wohl, dass wir uns nicht „wegducken“, wenn es schwierig wird, auch und gerade nicht an der Grenze zwischen Leben und Tod.

Dazu wählen wir Wege, die sich uns erschließen, nicht immer ohne ein gewisses Risiko:

· Eine offene Kirche, wo Menschen anzutreffen waren, als alles geschlossen war

· Telefonleitungen, die heiß laufen im intensiven Gespräch

· Besuche – notfalls auch nur kurz über den Gartenzaun

· Bereitschaft, ans Sterbebett zu kommen, sei es zu Hause, im Krankenhaus oder im Seniorenheim unter Rahmenbedingungen, die nie ganz risikofrei sind

· Gottes Wort als Trostworte weiterzugeben in Briefen und auf Grußkarten, um zu zeigen, niemand ist aus dem Sinn, nur kurzzeitig aus den Augen…

 

Kreuz und Auferstehung sind die Grundpfeiler unseres Glaubens, die Denken und Handeln wesentlich beeinflussen. Auch durch den stärksten Glauben, dem innigsten Vertrauen in Gottes Geleit, können Leid, Krankheit, Schmerz und Trauer nicht ausgeschlossen werden, weil sie zu den Variablen des Lebens gehören. Aber die Art und Weise damit umzugehen, sei es allein oder in Gemeinschaft, verändert sich, wenn der Tod in unserem Leben nicht das letzte Wort hat. Im Vorletzten das Letzte nicht zu fürchten, dabei hilft der Glaube und das

Gefühl, von Gottes Wort und Gottes Liebe getragen zu sein – ohne Ansehen der Person.

 

Die fünf Leitsätze der CHARTA sind nicht nur kommunalpolitisch kontrovers diskutiert

worden. Die intensive Auseinandersetzung über Aussage und Bedeutung der CHARTA hat auch die Mitglieder des Kirchenvorstands an die Grenzen ihrer Kommunikationsfähigkeit gebracht.

 

Fuschen wir Gott, dem Herrn über Leben und Tod, ins Handwerk, wenn wir uns für das Recht auf ein Sterben unter würdigen Bedingungen einsetzen, wie es im ersten Leitsatz der CHARTA heißt?

 

Egal ob wir Menschen in ihrer Ebenbildlichkeit Gottes betrachten oder ihre unantastbare Würde nach dem ersten Artikel des Grundgesetzes oder der Allgemeinen Menschenrechtserklärungbemessen, auf jeden gilt: „Der kranke Mensch ist der Experte. Sie allein weiß, was sie braucht.“Allein diese Aussage reicht, um deutlich zu machen, wie individuell schwerstkranken Menschen und ihren Angehörigen zu begegnen ist.

 

Und so umfasst die Würde des Individuums selbstverständlich auch sein Recht auf

Selbstbestimmung!

 

Es kommt demzufolge, wie immer, wesentlich darauf an, die Lebensbedingungen so zu gestalten, dass ein menschenwürdiges Leben und Sterben möglich ist. Dafür wollen wir uns einsetzen im Sinne dessen, der für uns durch den Tod hindurchgegangen ist. Er nahm auf sich unsere Krankheit, er litt unsere Schmerzen, er starb für uns am Kreuz, damit wir leben!

 

Manche fragen, ob Sterbebegleitung in der Hospizarbeit und Palliativversorgung auch Sterbehilfe bedeutet?

Ein klares NEIN. Die Hospizbewegung bejaht das Leben und engagiert sich für die

Verbesserung und Erhaltung der Lebensqualität von schwerstkranken und sterbenden Menschen. Dieses schließt Tötung auf Verlangen und Beihilfe zur Selbsttötung aus. Vielmehr bietet die palliative Versorgung und hospizliche Begleitung aktive Hilfe für ein würdevolles Leben bis zuletzt. In den meisten Fällen möchten Sterbende ihre Zeit auskosten. Sie möchten dabei möglichst frei von Schmerzen, Angst und anderen Beschwerden sein. Dies zu gewährleisten, ist das Ziel der Hospizarbeit und Palliativversorgung.5

 

In diesem Sinne stehen wir als Evangelische Kirchengemeinde Bickenbach an der Seite dieser vor allem auch ehrenamtlich tätigen Hospizbegleiter: innen und arbeiten eng mit ihnen zusammen.

 

Wir treffen uns in den Seniorenheimen und zu Hause bei pflegenden Angehörigen am Bett schwerstkranker Menschen. Wir ergänzen uns in der spirituellen Betreuung und Begleitung sterbender Menschen und ihrer Angehörigen. Wie oft habe ich in Trauergesprächen gehört, wie dankbar die Familie war für diese ambulante Hospizbegleitung:

„Sie kommen und bringen viel Zeit mit, wo nicht mehr viel Zeit bleibt…“

 

Glücklich auch diejenigen, die einen Platz im stationären Hospiz bekommen.

Schnell weicht das Gefühl „abgeschoben“ worden zu sein und „abgeschoben“ zu haben – weil dieser Ort sich unmittelbar als ein Segen, als Oase der Ruhe und des Friedens, der Fürsorge und Mitmenschlichkeit erweist.

Vgl. Berger-Zell, Wer einsam lebt, 24f.

A.a.O.

Vgl. Dietz, Menschenwürde im Spannungsfeld, 16-19.

Vgl. Ohne Schranken im Kopf, 46. 5

Vgl. Zur Sache, 26. 6

 

Im Umgang mit schwerstkranken und sterbenden Menschen kann viel Wissen und

Fachkompetenz erworben werden. Aber viele Dinge übersteigen auch unseren Verstand, wenn der Himmel so nahe rückt. Sinnliche Wahrnehmungen, der Duft eines Raumes, einer Blume, eine zärtliche Berührung, einfach Dasein und Zuhören werden zu existenziellen Momenten, die das Leben ausmachen und als Widerhall der Ewigkeit erscheinen. Sie bleiben in Erinnerung und bewahren in sich die Verbindung über den Tod hinaus.

 

Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind,

und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.

 

Kanzelsegen

Der Friede Gottes, der höher ist alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

 

Erstellt von Pfarrerin Andrea Thiemann

 

Literatur:

Berger-Zell, Dr. Carmen, Wer einsam lebt, stirbt meist auch einsam, in: Mit Sterbenden leben – achtsam sein, hrsg. Diakonie Hessen – Diakonisches Werk in Hessen und Nassau und Kurhessen-Waldeck e.V. Bereich Gesundheit, Alter und Pflege, Frankfurt a.M. 20162; S.24f.

Dietz, Dr. Alexander, Menschenwürde im Spannungsfeld von Abhängigkeit und Selbstbestimmung, in: Mit Sterbenden leben – achtsam sein, hrsg. Diakonie Hessen – Diakonisches Werk in Hessen und Nassau und Kurhessen-Waldeck e.V. Bereich Gesundheit, Alter und Pflege, Frankfurt a.M. 20162; S.16-19.

Ohne Schranken im Kopf, in: Magazin zur Hospizarbeit und Palliativversorgung: Letzte Wege. Wenn das Leben Abschied nimmt, hrsg. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Stand: Juni 20192; S. 46.

Zur Sache. Acht Mythen. Acht Fragen. Acht Antworten, in: Magazin zur Hospizarbeit und

Palliativversorgung: Letzte Wege. Wenn das Leben Abschied nimmt, hrsg. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Stand: Juni 20192; S. 26-27.

Predigt im Gottesdienst

Evangelischen Predigten liegt in der Regel ein Abschnitt oder Gedanke aus der Bibel zugrunde. Hierfür gibt es die Perikopenordnung, die im Rhythmus von sechs Jahren solche Texte aus der Bibel für jeden Sonn- und Feiertag vorsieht.

Vor allem katholische Theologen betonen aber den Unterschied zwischen Missionspredigt („Basis predigen“https://de.wikipedia.org/wiki/Predigt#cite_note-2) und innerchristlicher Glaubensauslegung und bevorzugen für diese das Wort Homilie (griech. „Zurede“).

Nach dem Verständnis der katholischen Kirche kann bei einer Predigt, im Unterschied zur Homilie, das Thema freier gewählt werden, bis hin zur Ansprache, und sie kann unabhängig von einem Gottesdienst stattfinden. Eine Homilie hat sich immer auf die beiden Lesungen und das Evangelium der jeweiligen Messe zu richten. Laut kirchlichen Vorschriften muss eine Homilie an jedem Sonn- und Feiertag gehalten werden. Für die Wochentage ist sie sehr empfohlen.

Jedoch ist die Predigt bzw. Homilie in der katholischen Kirche, im Gegensatz zur protestantischen, nicht das zentrale Element des Gottesdienstes. Während bei der evangelischen Kirche die Verkündung und Erklärung des Wortes Gottes im Zentrum steht, nimmt die Predigt in der katholischen Kirche eine zwar wichtige, jedoch dem hl. Messopfer untergeordnete Rolle ein.

Im Allgemeinen hat eine Predigt die Form eines Monologes. Es gibt aber auch kreativere Formen, indem zwischendurch Fragen an die Zuhörer gerichtet werden (mit Antwortmöglichkeit), oder indem ein Sketch oder ein Kurzfilm in die Predigt eingebaut wird.

Die Dauer einer Predigt hat sich im Lauf der letzten Jahrzehnte stark verkürzt. Heute dauert eine Predigt in einer katholischen Kirche etwa zehn Minuten, in einer evangelischen Kirche etwa zwanzig Minuten und in einer Freikirche etwa 30 Minuten (das sind grobe Richtwerte, die eher unter- als überschritten werden).

Quelle: de.wikipedia.org/wiki/Predigt

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